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Übersetzer und Technischer Redakteur – Berufsbilder mit Parallelen

Sehr viele Quereinsteiger in den Technischen Redaktionen sind Übersetzer. Das ist kein Zufall, denn die Berufsbilder weisen viele Parallelen auf. Ausgebildete Übersetzer berichten aus ihrer Berufspraxis als Technischer Redakteure …

Noch immer kann ich mich daran erinnern, wie ich mich damals auf eine ausgeschriebene Stelle als Technischer Redakteur bewarb:

"Wie Sie meinem beiliegenden Lebenslauf entnehmen können, bin ich diplomierte Übersetzerin für Russisch und Slowenisch. Hauptanforderungen an ein Sprachstudium sind überdurchschnittliche Kenntnisse der Muttersprache, ein umfassendes Allgemeinwissen und die Fähigkeit, sich in verschiedene Fachbereiche schnell und effektiv einzuarbeiten. Ich bin nicht nur fit in Rechtschreibung, Syntax und Grammatik, sondern bin es als Übersetzerin auch gewohnt, mit stilistisch unterschiedlichen Texten umzugehen."

Obwohl die "Hauptanforderungen" jedem angehenden Übersetzer in einer eigenen Vorlesung "Berufskunde für Übersetzer und Dolmetscher" eingetrichtert wurden, fand sie auch mein späterer Arbeitgeber als geeignete Qualifikation für einen Technischen Redakteur in seinem Unternehmen. Als technischer Eignungsnachweis genügte ihm die Zusatzfrage, ob ich Angst vor Technik hätte, was ich mit einem klaren "Nein" beantwortete. Und so wurde ich ohne viel Aufhebens zum Quereinsteiger: vom Übersetzer zum Technischen Redakteur. Ein Werdegang, den ich mit vielen anderen Übersetzern teile.

Der Technische Redakteur – eine lange Geschichte von Quereinsteigern

Die nicht geschützte Berufsbezeichnung "Technischer Redakteur" wurde erst vor knapp 25 Jahren von der tekom – dem deutschen Fachverband für Technische Kommunikation und Informationsentwicklung – im deutschsprachigen Raum eingeführt und geht zurück auf die englischen Begriffe "Technical Writer" oder "Technical Author". In den USA und Großbritannien ist der Beruf schon seit über 50 Jahren etabliert.

Dennoch mussten auch frühere Kulturen nicht auf Dokumentationen verzichten. Bereits die Ägypter hinterließen Anleitungen technischer Natur. Die erste Technische Dokumentation in Buchform war das "Feuerwerkbuch" von 1420, das die Herstellung von Feuerwaffen beschrieb. Leonardo da Vinci erklärte die Beschaffenheit und Funktionsweise seiner Maschinen mit Explosionszeichnungen und kann als Vorreiter für moderne Multimedia-Anleitungen gesehen werden. Mit der fortschreitenden Industrialisierung entstand Erklärungsbedarf für immer neue und komplexer werdende Produkte und Geräte. Die Funktion des Technischen Redakteurs nahmen dabei vor allem professionelle Schreiber und Künstler wahr.

In der Zwischenzeit sind Produktdokumentationen gesetzlich vorgeschrieben, um die richtige und vor allem sichere Bedienung der nicht immer selbst erklärenden und fehlerfrei funktionierenden Produkte und Geräte sicherzustellen. Darüber hinaus muss laut Maschinenrichtlinie 2006/42/EG jeder Maschine eine Betriebsanleitung in der oder den gültigen Amtssprachen des Mitgliedsstaates beigelegt werden, in dem die Maschine in Verkehr gebracht wird.

2009 arbeiteten in Deutschland etwa 85.000 Personen im Bereich der Technischen Redaktion. Der Großteil der in diesem Bereich tätigen Personen hat keine formale Qualifikation; ein Teil der Dokumentationen wird sogar von Personen verfasst, die eigentlich andere Aufgaben haben. Rechtlich ist der Technische Redakteur kein geschützter Beruf. Es gibt keine bindende Berufsausbildung. Die tekom arbeitet an der Konsolidierung des Berufsbildes. Dafür hat sie Leitlinien für die Aus- und Weiterbildung Technischer Redakteure herausgegeben und bietet eine eigene Zertifizierung an, um die fachliche Qualifikation der Redakteure sicherzustellen.

Berufsbild – mit Wiedererkennungswert für Übersetzer

Grob zusammengefasst lässt sich das Berufsbild des Technischen Redakteurs wie folgt beschreiben: Der Technische Redakteur beschreibt technische Sachverhalte in verständlicher Sprache. Er ist der Mittler zwischen Hersteller und Anwender. Für diesen Brückenschlag muss der Technische Redakteur neben technischem Fachwissen vor allem didaktische und sprachliche Qualifikationen mitbringen. Angesichts des heutigen Standes der Internationalisierung sind nicht nur eine sichere Beherrschung der Muttersprache, sondern auch Kenntnisse weiterer Sprachen von Vorteil.

Übersetzer können sich in diesem Berufsbild durchaus wiederfinden. So schreibt Susanne Göpferich, Leiterin des Zentrums für fremdsprachliche und berufsfeldorientierte Kompetenzen (ZfbK) an der Justus-Liebig-Universität Gießen:

"Vom Blickwinkel der Übersetzerausbildung aus betrachtet, ist am Berufsbild des Technischen Redakteurs bemerkenswert, dass die in ihm aufgeführten Kenntnisse und Fertigkeiten ausnahmslos auch von Übersetzern zu fordern sind."

Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Übersetzer den Weg in die Technische Redaktion finden. Laut der tekom-Arbeitsmarktstudie von 2006 ist jeder zehnte Quereinsteiger in den befragten Unternehmen ein Übersetzer; von den befragten Ausbildungsteilnehmern aus dem Bereich Übersetzung streben 45% eine Beschäftigung in der Technischen Dokumentation an.

Berufsalltag – Übersetzer berichten

Es stellt sich die Frage, ob Übersetzer aufgrund ihrer Ausbildung qualifiziert sind, technische Sachverhalte in verständlicher Weise an das Zielpublikum zu transportieren. Lassen wir dazu Übersetzer zu Wort kommen, die bereits einige Berufserfahrung als Technische Redakteure gesammelt haben.

Für Yvonne Gasser, Technische Redakteurin bei Tridonic, ist "die Technische Redaktion eine Art intralinguales Übersetzen", für das Übersetzer gute Voraussetzungen mitbringen, und zwar:

  • die Fähigkeit, sich schnell in ein Thema einzuarbeiten
  • die Kenntnis der unterschiedlichen Recherchetechniken
  • die Fertigkeit, Sachverhalte auf verschiedene Arten zu formulieren
  • den Dienstleistergedanken, von der Zielgruppe verstanden werden zu wollen
  • die Sensibilität für Terminologie

Gernot Koller, Technischer Redakteur bei SSI Schäfer Peem, sieht darüber hinaus Weiterbildungsbedarf, da die Ausbildung zum Übersetzer einiges offen lässt, was in der täglichen Berufspraxis eines Technischen Redakteurs erforderlich ist. Es fehlen:

  • technische Qualifikationen
  • Der Übersetzer sollte auf jeden Fall Interesse für Technik haben.
  • grafische und layouttechnische Grundlagen
  • Der Übersetzer sollte einen Blick für grafische Darstellungen und ansprechende Seitengestaltung entwickeln.
  • Tool-Kenntnisse
  • Der Übersetzer sollte sich in den gängigen Software-Tools der Technischen Dokumentation (z.B. FrameMaker, Content Management Systeme, XML-Grundlagen) weiterbilden.
  • Projektmanagementkenntnisse
  • Da ein Großteil der Arbeit eines Technischen Redakteurs aus Projektmanagement besteht, sollte sich der Übersetzer auch in diesem Bereich fit machen.

Mit all diesen Anforderungen ist der Übersetzer konfrontiert, der als Quereinsteiger in der Technischen Redaktion anfängt. Eine Weiterbildung hält Gernot Koller deshalb unbedingt für notwendig. Die Kombination von Technikern und Übersetzern in einem Redaktionsteam ist für ihn optimal und gewinnbringend für alle Seiten.

Berufsausbildung – Qualifikation ist entscheidend

Für Gregor Schäfer, Pressesprecher der tekom und in der Redaktion der Fachzeitschrift "technische kommunikation", sind "gut ausgebildete Technische Redakteure wichtig, egal mit welcher Grundqualifikation. Es sollte niemand ohne entsprechende Ausbildung bzw. Weiterbildung als Technischer Redakteur arbeiten." Die tekom "kann jedoch nicht eine Einbindung der Technischen Redaktion in die Übersetzungsausbildung fordern".

Von Übersetzerseite gibt es immer wieder die Forderung, die Richtung des Technischen Redakteurs in die Ausbildung einzubinden. Susanne Göpferich hat sich in ihrer Zeit als Professorin für Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaft am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft (ITAT) der Karl-Franzens-Universität Graz für eine engere Verzahnung in der Ausbildung engagiert. Folgende Inhalte sollten ihrer Ansicht nach in die Ausbildung der Übersetzer aufgenommen werden:

  • standardisierte, funktions- und adressaten- sowie übersetzungsgerechte Textproduktion (inklusive des Einsatzes entsprechender Autorenumgebungen)
  • praktischer Einsatz von Translation Memory Systemen
  • Computerlinguistik (zur Entwicklung und Weiterentwicklung von übersetzungs- und textproduktionsunterstützenden Tools)

Wie sich die Ausbildungssituation im deutschsprachigen Raum und nicht zuletzt der Beruf des Technischen Redakteurs weiterentwickelt, ist noch nicht absehbar. Sinnvoll ist auf jeden Fall die entsprechende Aus- und Weiterbildung für alle: Der Technische Redakteur ohne Übersetzerhintergrund sollte eine Vorstellung von der Arbeitsweise und den Prozessen eines Übersetzers haben. Der Übersetzer braucht die Befähigung für den Berufsalltag des Technischen Redakteurs – unabhängig davon, ob er diese im Rahmen seiner Ausbildung oder als Weiterbildung erwirbt.
Nach all den Jahren als Technische Redakteurin und Übersetzerin ist für mich die Schnittstelle zwischen Technischer Redaktion und Übersetzung ein wichtiges und omnipräsentes Thema. Übersetzungsgerechtes Schreiben, fachgerechtes Übersetzen und Lokalisieren sowie konsistente Terminologie in Ausgangs- und Zielsprache sind wesentliche Elemente für qualitativ hochwertige Technische Dokumentationen auf den weltweiten Märkten.

Berufsbild und Ausbildungsmöglichkeiten:

http://www.beruf-technischer-redakteur.de/main/studienorte/
http://www.beruf-technischer-redakteur.de/main/berufsbild/

Berufsverbände:

http://www.stc.org/
http://www.tekom.de/

Weiterführende Literatur:

Göpferich, Susanne: Interkulturelles Technical Writing: Fachliches adressatengerecht vermitteln; ein Lehr- und Arbeitsbuch. Tübingen: Narr, 1998
Göpferich, Susanne: Der Technische Redakteur als Global Player.
http://www.doku.net/artikel/dertechnis.htm
tekom (Hrsg.): Leitlinie für die Aus- und Weiterbildung Technischer Redakteure. Stand 02.04.2007
http://www.tekom.de/upload/alg/Leitlinie_TR.pdf
tekom (Hrsg.): Bildung und Arbeitsmarkt in der Technischen Kommunikation. Erstellt für die tekom von Dr. Daniela Straub, TC and more GmbH. Stand Oktober 2006

Stand: 10/2010